Therapie vs. Beratung

  • Hallo zusammen, soweit ich informiert bin, kommt es bei der Abgrenzung von Beratung und Therapie vor allem auf den Sprachgebrauch an. Der Berater darf nichts "Gefährliches" tun darüber hinaus nicht den [i]Eindruck[/i] erwecken, dass er eine krankheit heilt oder medizinische Hilfe überflüssig macht. Siehe z.B. auch: http://www.hypnoseausbildungscenter.de/forum/49-fachliteratur/4436-coach-ein-berufsbild-ohne-gesetzliche-norm Mich würde es aber interessieren, wie es jenseits des Sprachgebrauchs und des Rechts in der Sache selbst aussieht. Heilen Berater psychische Krankheiten? Müssen sie es vielleicht realistischerweise sogar? Meine The lautet: Ja. Ich versuche, das in aller Kürze zu begründen. Der psychiatrische Krankheitsbegriff ist inzwischen so weit ausgedehnt, dass fast alles eine Krankheit und fast niemand gesund ist. Das wird in der Zukunft mit dem DSM-V wohl auch noch wesentlich dramatischer werden. http://www.hypnoseausbildungscenter.de/forum/62-fragen-und-diskussionen-zur-tiefenkommunikation/4443-der-spiegel-brachte-einen-bericht - Laut Spiegel sind bereits jetzt fast 40% der Menschen mindestens einmal im Jahr psychisch krank (siehe zuletzt verlinkte Seite). Die tatsächliche Zahl dürfte aber sehr viel höher sein. Denn bei solchen Untersuchungen können nur ein paar besonders wichtige Diagnosen berücksichtigt werden, die nur einen Bruchteil aller definierten Störungsbilder drepräsentieren. Viele Diagnosen werden gar nicht berücksisichtigt. Weiterhin werden die strengen Forschungskriterien verwendet. Würde man die flexibleren klinischen kriterien verwenden, so wären noch mehr Menschen durch krankheit betroffen. Außerdem verfügen die psychiatrischen Systeme über wichtige "Restkategorien", wie z.B. "neurotische Störung, nicht näher bezeichnet", wo noch weitere Probleme untergebracht werden, die bei Untersuchungen zur Häufigkeit von Krankheiten gar nicht berücksichtigt werden. Die tatsächliche Anzahl "psychisch Kranker" dürfte also selbst nach heutigen Diagnose-Systeme wohl über 50% innerhalb von 12 Monaten liegen. - Unter denjenigen, die zu einem psychologischen Berater gehen, dürfte der Prozentsatz der "Kranken" wahrscheinlich noch einmal deutlich höher liegen. Und sicher suchen nicht alle, aber viele Klienten die Hilfe wegen ihrer "Krankheiten". - Zu den psychischen Krankheiten gehören entsprechend den psychiatrischen Definitionen nicht nur offensichtliche und schwere Leiden, sondern auch zahlreiche geringfügige. Wer ohne besondere Ursache vier Wochen lang mindestens drei mal die Woche schlecht schläft und deswegen Tagesmüdigkeit erlebt, leidet nach der ICD bereits unter einer nicht-organischem Insomnie. Ein Beispiel aus dem Spiegel-Artikel: Wer erntshafte Probleme hat, in einer Gruppe zu sprechen, und diese Situation nach Möglichkeit vermeidet und nur mit Anspannung und Angst bewältigt, leidet bereits an einer sozialen Phobie. Wer sich über ein paar Wochen hinweg reizbar, schlechtlaunig oder erschöpft fühlt und in dieser Zeit öfter Selbstzweifel hat, der leidet zwar noch nicht an einer majoren Depression (depressiven Episode), sehr wahrscheinlich aber schon an einer minoren Depression. Auch, wenn er sein Leben ansonsten gut bewältigt. Kurz gesagt: Fast alles ist nach psychiatrischem Dafürhalten eine "Krankheit". Notfalls wird etwas in den Restkategorien untergebracht. (Ich finde es nicht unbedingt schlecht, wenn die Menschen Hilfe kriegen. Allerdings bin ich gegen die vorschnelle Gabe von Medis und halte die Pathologisierung für Problematisch). Aus alledem ergebn sich für mich folgende Schlussfolgerungen: Wollte ein Berater tatsächlich vermeiden, "psychischhe Krankheiten" zu behandeln, a) müsste er hunderte Störungsbilder aus der ICD gut kennen b) bräuchte er eine erhebliche klinische Praxis-Kompetenz, um die Diagnosen korrekt anzuwenden c) müsste er wesentlich mehr Kenntnisse von psychiatrischer Diagnostik besitzen als die weitaus meisten Ärzte, die ja nicht nur heilberechtigtsind, sondern sogar approbiert sind, psychische Krankheiten zu behandeln - um dann weniger zu dürfen als jeder Heilpraktiker. d) müsste er einen Großteil seiner Klienten wegschicken, was er beruflich nicht überleben könnte. e) müsste er klinische Interviews führen, um Krankheiten auszuschließen, wodurch er aber gerade den Eindruck des "Diagnostizierens" hervorrufen würde - was er ja gerade nicht tun soll. Nun sind solche Verrenkungen m.W. zum Glück ja juristisch auch gar nicht nötig. Der Berater darf m.W. durchaus "de facto" Krankheiten heilen, er musss nur den (irreführenden) Eindruck erwecken, dass er es nicht tut - was wohl reichlich absurd ist. Trotzdem würde mich interessieren, ob ein Berater tatsächlich in der Lage wäre, alle "Kranken", die im Zusammenhang mit einer "Krankheit" Hilfe suchen, wegzuschicken. Aus den dargelegten Gründen halte ich persönlich das für ilusionär. Mich würde aber interessieren, wie andere das sehen, und ob ich irgenetwas übersehen habe. P.S: Weder gegen Berater noch gegen HPs habe ich etwas. Mir geht es nur um die Frage, ob Beratung und Therapie sachlich (und nicht nur sprachlich) überhaupt sinnvollerweise abzugrenzen sind.