Ein sehr schöner Artikel von Amanda Barnier

  • Hallo zusammen, hier möchte ich auf einen sehr schönen Artikel von Amanda Barnier zur posthypnotischen Suggestion (und zur Aufmerksamkeit) hinweisen. (Link weiter unten.)Barnier hat zahlreiche Experimente zu diesem Thema durchgeführt. Zum besseren Verständnis darf ich vielleicht einige Vorbemerkungen machen: Die Psychologen gehen davon aus, dass viele Verhaltensweisen im Alltag automatisch verlaufen und keine (nennenswerte) Aufmerksamkeit voraussetzen. Wir müssen uns beispielsweise im Gegensatz zu kleinen Kindern, die gerade das Laufen lernen, nicht auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren, den wir gehen. Wir müssen keine oder nur minimale Aufmerksamkeit auf das Laufen verwenden, und so können wir unsere Aufmerksamkeit auch beim Gehen bequem auf andere Inhalte richtem, etwa auf ein Gespräch. Ähnliches gilt für das Essen mit Messer und Gabel, Fahrrad- und Autofahren usw. Es ist immer dasselbe: Solange keine besonderen Komplikationen oder schwierigen Bedingungen vorliegen, brauchen wir kaum Aufmerksamkeit. Solche Vorgänge laufen also automatisch oder quasi-automatisch ab. Andere Prozesse erfordern hingegen gezielte Aufmerksamkeit und Konzentration. Die Psychologen und Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass es hierzu ein höchstes Kontrollsystem gibt ("Exekutive Kontrolle"), das bei Handlungen in Anspruch genommen wird, bei denen neue Verhaltensweisen erforderlich sind, oder abstraktes Denken, aber auch das Überwinden von Gewohnheiten. Die "Exekutive Kontrlle" steht also nicht nur für Aufmerksamkeit, sondern auch für willentliche Verhaltenssteuerung. Sie wird übrigens insbesondere mit frontalen Regionen des menschlichen Gehirns assoziiert. Ziemlich allgemein wurde und wird noch immer angenommen, dass "Aufmerkdsamkeit" und Bewusstsein eng zusammenhängen: Was Aufmerksamkeit erfordert, das ist auch bewusst. Das ist die gängige Betrachtungsweise im Alltag wie in der Psychologie. Solch einer Überzeugung stehen jedoch die Ergebnisse der Hypnoseforschung entgegen: Viele hypnotische Prozesse sind nicht bewusst, und sie werden vom Hypnotisierten als unwillkürlich und automatisch wahrgenommen. Sie erfordern jedoch dennoch Aufmerksamkeit, wie sich bei genauerem Hinsehen zeigt. Wir haben es hier also mit einer unbewussten, aber doch vorhandenen exekutiven Aufmerksamkeit zu tun. Dass hypnotische Prozesse oft Aufmerksamkeit (exekutive Kontrolle) erfordern, lässt sich auf verschiedene Weise zeigen. Wenn jemand beispielsweise bewusst zwei Aufgaben durchführen soll, die beide Aufmerksamkeit erfordern, dann kommt es zur Interferenz. Die beiden Aufgaben beeinträchtigen sich (man wird langsamer und macht mehr Fehler). Lässt man nun eine Person mittels Hypnose zeitgleich eine Aufgabe bewusst und eine andere unterbewusst ausführen, dann ist die Interferenz mindestens genau so groß, wie wenn beide Aufgqaben bewusst gelöst werden. Das gilt zumindest für Beschäftigungen, die eine gewisse Komplexität besitzen. Dieses Ergebnis zeigt, dass Hypnose oftmals Aufmerksamkeitsressourcen der exekutiven Kontrolle beansprucht, die dann für andere Tätigkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen. Es gilt somit, dass hypnotisches Verhalten oftmals als automatisch ERELBT wird, aber objektiv nicht "automatisch" IST. Objektiv betrachtet setzt hypnotisches Verhalten typischerweise vielmehr Aufmerksamkeitund Motivation voraus. Dieses Ergebnis wird übrigens auch durch andere Untersuchungen und durch die Gehirnforschung bestätigt. Amanda Barnier kommt entsprechend in ihrem Artikel zur posthypnotischen Suggestionzu dem Ergebnis, dass das subjektive Gefühl von Unwillkürlichkeit und Automatie und die tatsächlich verwendete Aufmerksamkeit nichts mit einander zu tun haben. Auch eine Aufgabe, die eine hohe kognitive Leistung (viel Aufmerksamkeit) erfordert, kann als völlig automatisch und unwillkürlich erlebt werden. Gute hypnotische Subjekte können beispielsweise auf posthypnotische Suggestionen in einer Weise reagieren, die eine Denkleistung erfordert, ohne dass sie sich ihrer Denkleistung irgendwie bewusst wären. Barnier schreibt daher (sinngemäß übersetzt): [i]"Ganz wie andere hypnotische Reaktionen ist posthypnotisches Reagieren nicht automatisch entsprechend den Definitionen, die von den kognitiven Psychologen benutzt werden. Es beansprucht Ressourcen der Aufmerksamkeit, es interferiert mit anderen Prozessen, es erfordert eine kognitive Anstrengung, und es ist absichtsvoll; und doch bleibt dies dem bewussten phänomenalen Erleben entzogen. Auch wenn dieses Fehlen von Bewusstsein oftmals als die hervorstechendste Eigenschaft von posthypnotischem Verhalten betrachtet wird, ist es doch wichtig, eine andere sehr bedeutende Eigenschaft hervorzuheben; diese ist, dass die Reaktion auf eine posthypnotische Suggestion absichtsvoll und strategisch ist. Hier liegt das eigentliche Paradoxon des posthypnotischen Reagierens (und tatsächlich des hypnotischen Reagierens allgemein). Unsere wissenschaftlicher Ergebnisse zeigen, dass einige hypnotisierte Individuen sehr aktiv darin sind, die Anforderungen des Settings für sich herauszuarbeiten, die Konflikt in den Kommunikationen zu lösen, die sie erhalten, und darin, auf angemessene Weise zu reagieren. Dennoch machen viele hoch hypnotisierbare Subjekte unabhängig vom Level der Anforderungen eine Zuschreibung hinsichtlich ihres Reagierens, die die Aspekte von Mühelosigkeit und Unwillkürlichkeit hervorhebt. Diese fehlende Erkenntnis des eigenen Involvirtseins in die Erfahrung, die sie machen, ist ein bleibender Aspekt der Hypnose, der fasziniertend ist."[/i] Was für die posthypnotische Suggestion gilt, gilt auch ziemlich allgemein, was hier nur an zwei weiteren Beispielen belegt sein soll. Einige Forscher um Yann Cojan untersuchten beispielsweise, was eigentlich während einer suggerierten Lähmung/Katalepsie im Gehirn bei hochsuggestiblen Probanden passiert. Ihre Ergebnisse zeigten unter anderem, dass solche Phänomene "echt" sind und sich davon unterscheiden, dass jemand nur so tut als ob. Die Ergebnisse zeigten außerdem, dass insbesondere frontale Gehirnbereiche, die für Aufmerksamkeit, willentliche Kontrolle und insbesondere für Selbstwahrnehmung stehen, während der Ausführung hypnotischer Suggestionen generell besonders aktiv waren. Cojan und seine Kollegen schreiben: [i]"Stattdessen weist dieses [Gehirn]muster darauf hin, dass exekutive Kontrollprozesse, die von dieser Region vermittelt werden, bei allen Versuchstypen unter Hypnose beansprucht wurden, wobei diese [Kontrollprozesse] womöglich einem Zustand der erhöhten Beobachtung und der gesteigerten Kontrolle ["hyper control"] entsprechen..."[/i] Wir haben hier also das Paradoxon, dass Hypnotisierte das subjektive Gefühl haben, ihren eigenen Körper nicht kontrollieren zu können, während die Gehirnprozesse auf eine [i]erhöhte[/i] Selbstontrolle hinweisen. Wieder besteht hier also ein Kontrast von bewusstem Empfinden und "objektiv" feststellbaren Gegebenheiten. Ein drittes Beispiel wäre die hypnotische Analgesie. Helen Crawford, die viele neurophysiologische Untersuchungen zur Hypnose durchgeführt hat, schreibt hierzu: [i]"Dissoziierte Kontrolle während der Hypnose, wie sie beispielsweise bei der hypnotischen Analgesie für Schmerzen beobachtet wird, setzt kognitive und aufmerksamkeitsbezogene Leistungen höherer Ordnung voraus, wovon Veränderungen der EEG-Theta-Wellen [...] und erhöhter Gehirnstoffwechsel in bildgebenden Verfahren [....] zeugen. Die fehlende Wahrnehmung von Kontrolle und die verminderte Selbstwahrnehmung [....] ändern nichts daran, dass dennoch Prozesse ablaufen, die höhere kognitive Verarbeitung und das exekutive Kontrollsystem involvieren."[/i] Andernorts schreibt Crawford nach einer Durchsicht der Forschungsliteratur: [i]"Eine ziemlich durchgehende Beobachtung ist die Zunahme des CBG [zerebralen Blutflusses], der nur bei hoch hypnotisierterbaren Individuen zu beobachten ist. Angesichts der übereinstimmenden Ergebnisse dass erhöhter CBF bei mentaler Anstrengung vorliegt [....] suggeriert diese Forschung, dass, obwohl die hypnotisierte Person auf einer physischen Ebene oftmals extrem entspannt ist, auf einer kognitiven Ebene eine dennoch Anstrengung erfolgt, die zu- und abgewandte Aufmerksamkeit beansprucht. Daher mögen 'dissoziierte' hypnotische Phänomene nur auf einem phänomenologischen [erlebnismäßigen] Level mühelos und ohne Selbstbewusstsein sein, während sie weiterhin zielgerichtete und willentliche Aufmerksamkeit außerhalb des Selbstbewusstseins erfordern....Ziemlich durchgehend findet sich eine erhöhte Beteiligung von Regionen im frontalen Cortex während hypnotischer Suggestionen [...]. Dies legt eine erhhöhte Aktivität des exekutiven Kontrollsystems während imagibativer Aktivitäten - ob hypnotisch oder nicht-hypnotisch - nahe."[/i] Es spricht also vieles dafür, dass die meisten hypnotischen Prozesse Aufmerksamkeit und willentliche Aktivität, aber kein Bewusstsein davon erfordern; dies gilt auch, aber nicht nur für hypnotische Suggestionen. Speziell zu den posthypnotischen Suggestionen sei besonders folgender Artikel von Amanda Barnier empfohlen, aus dem ich schon zitiert hatte: http://www.sleepandhypnosis.org/pdf/1_1_11.pdf (Auf dersleben Seite scheinen sich übrigens viele weitere freie Fachartkel zu befinden!) Für weitere Hintergrundsinformationen könnten vielleicht auch folgende Artikel aus meinem Blog interessant sein: https://hypnoseinfos.wordpress.com/tag/exekutive-kontrolle/ http://hypnoseinfos.wordpress.com/2010/09/21/die-posthypnotische-suggestion/
  • uiiii , hört sich interessant an, in den ersten Zeilen schon.. aber da ich grad mit Sommergrippe geplagt bin, leg ich mich jetzt lieber ins Bett.. und schau dann die nächsten Tage rein um das in Ruhe zu lesen. Schönen Abend lieben Gruß Anita
  • Hallo Miraculus, ein sehr gelungener Artikel, nur überrascht mich die Aussage keineswegs. Ich werde versuchen mal ein paar Dinge zu erklären. Wenn wir unserem Computer im übertragenen Sinne das Laufen lernen möchten, dann müssen wir ihm dafür die richtige Software aufspielen - für uns heisst das lernen. Wenn wir es gelernt haben, läuft es im Hintergund als Multitasking ab. Genau wie beim Computer. Der arbeitet im Hintergrund und wir bekommen es sichtlich nicht mit, der Prossessor allerdings wird seine Tätigkeit erhöhen. Mehr natürlich noch, wenn wir dann gleichzeitig etwas anderes machen. In Hypnose stellt sich auch das Bewusstsein nicht in den Hintergrund wie oftmals angenommen wird, sondern es ist mit seiner Aufmerksamkeit vorhanden. Ohne den Schritt über das Bewusstsein, können wir auch nicht in das Unterbewusstsein (sofern es das gibt, das ist aber eine andere und längere Geschichte). Die Zustände, die dabei erzielt werden sind vielschichtig. Ich werde darauf später, wenn ich etwas mehr Zeit habe nochmal darauf eingehen. Es sind viele interessante Punkte zu in diesem Artikel zu besprechen. Auch ist es ganz logisch zu erklären. Ich kann zwar nicht sagen, welcher Prozess in welcher Gehirnregion messbar ist, aber die Abläufe und Zusammenhänge sind relativ einfach, wenn man sich mit der Thematik beschäftig. LG Garry Moon
  • [quote]Einige Forscher um Yann Cojan untersuchten beispielsweise, was eigentlich während einer suggerierten Lähmung/Katalepsie im Gehirn bei hochsuggestiblen Probanden passiert. Ihre Ergebnisse zeigten unter anderem, dass solche Phänomene "echt" sind und sich davon unterscheiden, dass jemand nur so tut als ob. Die Ergebnisse zeigten außerdem, dass insbesondere frontale Gehirnbereiche, die für Aufmerksamkeit, willentliche Kontrolle und insbesondere für Selbstwahrnehmung stehen, während der Ausführung hypnotischer Suggestionen generell besonders aktiv waren. Cojan und seine Kollegen schreiben: [/quote] Das beweist zumindest die Falschannahme, dass bei einer Vorführung der Klient mitspielt. ;) Da wir gerade beinm Thema sind, es ist mir noch nie vorgekommen, dass ein Klient während einer Vorführung eine Abreaktion oder auch irgendwelche Bilder hochgekommen sind. Dies passiert nur im therapeutischen, medizinischen Bereich von selbst. Auch das hat eine einfache Erklärung. Selbst bei Leerhypnosen haben wir dies schon beobachtet. Also im Bereich einer Vorführung von Gefahr zu sprechen ist gelinde gesagt Unsinn, jedenfalls was die Psyche betrifft. [quote]Wir haben hier also das Paradoxon, dass Hypnotisierte das subjektive Gefühl haben, ihren eigenen Körper nicht kontrollieren zu können, während die Gehirnprozesse auf eine erhöhte Selbstontrolle hinweisen. Wieder besteht hier also ein Kontrast von bewusstem Empfinden und "objektiv" feststellbaren Gegebenheiten[/quote] Nun diesen Zustand gibt es auch ganz natürlich. Es gibt alle Zustände natürlich und in verschiedenen Bereichen. Auch hier stellen wir unsere Bewusstseinstätigkeit nicht ein... [quote]"Dissoziierte Kontrolle während der Hypnose, wie sie beispielsweise bei der hypnotischen Analgesie für Schmerzen beobachtet wird, setzt kognitive und aufmerksamkeitsbezogene Leistungen höherer Ordnung voraus, wovon Veränderungen der EEG-Theta-Wellen [...] und erhöhter Gehirnstoffwechsel in bildgebenden Verfahren [....] zeugen. Die fehlende Wahrnehmung von Kontrolle und die verminderte Selbstwahrnehmung [....] ändern nichts daran, dass dennoch Prozesse ablaufen, die höhere kognitive Verarbeitung und das exekutive Kontrollsystem involvieren."[/quote] Hier gilt das Gleiche wie oben schon geschrieben. Wir könnten hier unzählige Beispiele aufzählen, ist aber glaube ich nicht nötig. Es gibt für alle eingeleitete hypnotischen Phänomene die gleichen Phänomene ohne Fremdeinleitung. Dies ist auch der Grund, warum man viele Dinge erreichen kann ohne eine Hypnose einzuleiten. Der Prozess ist letztlich identisch. Trotzdem hat es nichts mit einer NON STATE Theorie gemeinsam, da ein Phänomen, welches NON STATE ausgeführt wird bereits einen STATE hat. Wer all diese Informationen kennt und sich logisch damit auseinandersetzt, muss unweigerlich erkennen, was in Hypnose möglich ist. Aber auch dann, wenn diese gar nicht induziert wurde, zumindest nicht wissentlich. LG Garry Moon