Ist Hypnose tatsächlich gefährlich?

  • Vorbemerkung: Da der Text aufgrund seiner Länge nicht akzeptiert wird, splitte ich ihn in drei Teile auf. [b]Teil 1[/b] Hallo zusammen, man wird immer wieder mit Äußerungen derart konfrontiert, dass Hypnose ziemlich "gefährlich" für die menschliche Psyche sei, es sei denn vielleicht in ganz bestimmten, besonders qualifizierten Händen. Alleinbesitzansprüche auf die Hypnose haben eine so lange wie unerfreuliche Tradition. So war beispielsweise der Psychologe Clark L. Hull, der als der eigentliche Begründer der Hypnoseforschung gelten kann, gezwungen, seine Forschungen (um 1930 herum) aufzugeben, da einige Ärzte damals meinten, dass Hypnose sehr gefährlich sei und bei Psychologen nichts zu suchen habe. Inzwischen heißt es häufig, dass allein Ärzte, Zahnärzte und Psychologen die Hypnose sicher ausüben könnten, wobei nicht klar ist, welche Kriterien einer solchen Behauptung zugrunde liegen (beispielsweise verfügen Psychologen in aller Regel nicht über gründliche zahnmedizinische Kenntnisse - die auch kaum mit der Sicherheit der Hypnose zu tun haben dürften -, während umgekehrt Zahnärzte gewöhnlich keine intensive psychiatrisch-psychotherapeutische Ausbildung erhalten haben). Allerdings werden die vermeintlichen "Gefahren der Hypnose" nicht nur von einigen Klinikern, sondern auch von anderen Anwendern. Manche werden sich noch gut an ein gewisses Forum erinnern, wo Leute, die gerade frisch ein WE-Seminar zur Hypnose mitgemacht hatten, gerne über all jene schimpften, die das nicht (noch) nicht getan hatten - von wegen wie unglaublich verantwortungslos es sei, da auch nur an die Hypnose zu denken, und dass die gar nicht wüssten, "was sie alles anrichten" könnten usw. (Damit sei selbstredend nichts gegen ein gutes Wochenend-Seminar gesagt! Nur muss die Werbung ja nicht in übertriebener Angstmache bestehen...) Kürzlich durfte ich einen Artikel eines Psychologischen Psychotherapeuten lesen, der nahelegt, dass eigentlich nur Leute wie Psychotherapeuten und Psychiater in der Lage sind, die Hypnose "seriös" anzuwenden, und zwar egal zu welchen Zwecken (wobei ich stark annehme, dass betreffender Psychologe auch nichts gegen die Hypnose durch Ärzte und Zahnärzte einzuwenden hätte). All diesen genannten Äußerungen oder Ansprüchen ist eines gemeinsam: Es handelt sich bei ihnen entweder um reine Behauptungen, die überhaupt nicht weiter begründet und einfach "autoritativ" in den Raum gesetzt werden. Oder, sofern doch einmal eine Begründung erfolgt, ist diese extrem schwach, hochgradig spekulativ, methodisch wertlos und genügt nicht den Ansprüchen, die man an rationale Argumente stellen sollte. Insbesondere wird eigentlich nie Bezug genommen auf das, was die Hypnoseforschung (oder auch die Psychotherapieforschung) mithilfe von systematischen Studien herausgefunden haben. Der Artikel des erwähnten Psychologischen Psychotherapeuten ist für mich Anlass, ein paar Dinge auszuführen. Vorweg: Selbstredend sollte jeder, der hypnotisiert, einige grundlegende Kenntnisse besitzen, einige Prinzipien beachten, und respektvoll und sensibel mit den Hypnotisierten umgehen. Und natürlich gilt die klassische Aussage des Hypnoseexperten Martin Orne, dass (unabhängig von eventuellen juristischen Gesichtspunkten) eine Person nur qualifiziert ist, mithilfe von Hypnose solche Probleme zu behandeln, die sie auch ohne Hypnose kompetent behandeln könnte. Dies spricht ebenfalls gegen eine besondere "Gefährlichkeit" der Hypnose, und außerdem auch ganz grundsätzlich dafür, dass "Besitzansprüche" auf die Hypnose ohnehin unsinnig sind.
  • [b]Teil 2[/b] [b]Wie groß sind die mit der Hypnose verbundenen Risiken? [/b] Zu dieser Frage gibt es eine Reihe systematischer Untersuchungen. Kurz zusammengefasst lauten die Ergebnisse, dass nicht mehr negative Effekte bei der Hypnose auftreten als bei anderen psychologischen Experimenten, beim Dasitzen in einem abgedunkelten Raum mit geschlossenen Augen für einen Zeitraum von einigen Minuten, bei einem einfachen Experiment zur Körperwahrnehmung, oder bei alltäglichen Aktivitäten. (Typische Negativ-Reaktionen sind so etwas wie Kopfweh, Müdigkeit oder ein steifer Nacken). Insgesamt kann Hypnose somit als sehr gut verträglich gelten. (Man bedenke, dass in der Hypnoseforschung unzählige Personen, über deren psychische Gesundheit nichts bekannt ist, hypnotisiert und auf Phänomene wie z.B. Halluzinationen, Bewegungsblockaden, Amnesie und posthypnotisches Verhalten getestet werden. Dennoch spricht auch die allgemeine Erfahrung dafür, dass die Hypnoseforschung sehr gut verträglich ist.) Interessanterweise existiert auch kein statistischer Zusammenhang zwischen negativen Erlebnissen der Empfänglichkeit für Hypnose. Anders gesagt: Diejenigen, die besonders gut auf Hypnose reagieren, berichten nicht über mehr negative Effekte als diejenigen, die fast gar nicht reagieren. Dies spricht dafür, dass die ungünstigen Erfahrungen, die manche Probanden machen, nicht auf die Hypnose "an sich" zurückgehen. Es gibt auch eine Studie, die speziell den Zusammenhang der Hypnose mit ernsteren psychologischen Problemen ins Visiert genommen hat. Ihre Autoren (Faw, Sellers und Wilcox) kommen zum Ergebnis, dass die Hypnose nicht nur keine schädlichen, sondern sogar [i]günstige[/i] Auswirkungen hat: [i]“Die negativen Effekte der Hypnose werden durch die in diesem Experiment gesammelten Daten widerlegt. Keine schädlichen Wirkungen wurden nach der Induktion der Hypnose festgestellt. Die als präpsychotisch betrachteten Personen erlitten keine nachteiligen Auswirkungen psychologischer Art im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Im Gegenteil wurden günstige Effekte festgestellt. Ziemlich durchgängig zeigten die hypnotisierten Gruppen einen größeren Rückgang von Verhaltensproblemen, als er zu erwarten gewesen wäre. Dieses Muster der Verbesserung bestand für normale Personen genauso wie für solche, die bis zu einem so hohen Grade desorganisiert waren, dass ein psychotischer Zusammenbruch drohte, oder dass suizidale Tendenzen bemerkt wurden.”[/i] Es wurden auch kontrollierte Experimente zur Altersregression durchgeführt, und ihr Ergebnis ist, dass negative Erlebnisse während einer hypnotischen Altersregression nicht häufiger vorkommen, als wenn "wache" Personen gebeten werden, sich an ihre Kindheit zu erinnern. Ein bekannter Hypnoseforscher (G. Wagstaff) kommentiert dies so: [i]"Ihre Befunde [die von jenen Forschern, die diese Untersuchungen durchgeführt haben] unterstützen nicht die Auffassung, dass hypnotische Altersregression gefährlich ist; in der Tat sprechen die Resultate bezogen auf den Fall des einfachen Sich-Erinnerns an Ereignisse aus der Kindheit für das Gegenteil […]. Damit soll selbstredend nicht abgestritten werden, dass Abreaktionen ab und zu während hypnotischer Altersregressionen in therapeutischen Situationen auftreten können, aber die Beweislage (soweit sie reicht) bietet uns keinen Grund zur Annahme, dass die hypnotische Altersregression mit irgendeiner höheren Wahrscheinlichkeit zu Abreaktionen führt als eine Vielzahl anderer Situationen, die Menschen an ihre Vergangenheit erinnern mögen." [/i] Therapeutische Hypnose ist zwar offenbar mit gravierenderen Problemen verbunden als experimentelle Hypnose, aber es lässt sich überzeugend dafür argumentieren, dass es keine anderen oder größeren Komplikationen sind als bei anderen Formen der Psychotherapie auch. Bei Therapien kommt es immer mal wieder zu negativen Reaktionen; dies gilt ganz allgemein und unabhängig von der Hypnose. Die Showhypnose wird zwar oft als besonders gefährlich dargestellt, aber hier kommt es natürlich darauf an, was man als Beweis akzeptiert. Wichtige ausländische Autoren stellen Fragen wie die, wie häufig oder selten Probleme bei der Bühnenhypnose auftreten, wenn berücksichtigt wird, dass insgesamt sehr viele Personen an der Showhypnose teilnehmen; ob manche derjenigen, die negativ auf die Bühnenhypnose reagieren, vielleicht bereits davor psychologische Probleme hatten oder sich unwohl fühlten; und ob bei der Showhypnose mehr negative Erlebnisse festzustellen sind als bei anderen Formen der Freizeitunterhaltung. Systematische Untersuchungen fehlen; aber eine britische Expertenkommission, deren Mitglieder eine besondere Erfahrung mit der Bewertung von Gefahren für die psychische Gesundheit hatten, kamen zu dem Schluss, dass alles dafür spricht, dass Bühnenhypnose nicht mit mehr negativen Effekten einhergeht als viele andere akzeptierte Freizeitaktivitäten auch (und teilweise sogar ungefährlicher ist); allerdings, so die Experten weiter, sollten einige grundlegende Sicherheitsmaßnahmen beachtet werden. Bei deutschen Autoren hingegen sieht die Diskussion über die Bühnenhypnose für gewöhnlich etwas unkomplizierter aus und geht im Grunde so: "(typischerweise so etwas wie Kopfweh, Müdigkeit oder ein steifer Nacken)Es gibt Personen, die negative Erlebnisse bei der Showhypnose haben, also ist Showhypnose gefährlich." Zusammengefasst legen die ausgeführten Befunde nahe, dass die Hypnose nicht mit größeren Gefahren verbunden ist als das Setting, in dem sie eingesetzt wird (z.B. experimentelles, therapeutisches und Show-Setting), und dass Probleme bei der Hypnose, soweit sie auftreten, keine Folge der Hypnose "als solcher" sind. Es ist insofern eigentlich keine sachliche Grundlage für die Behauptung, dass Hypnose besonders gefährlich sei, erkennbar. Zudem könnte man auch darauf hinweisen, dass die Hypnose zahlreichen "normalen" Entspannungs- und Imaginationsverfahren, die allgemein als gut verträglich gelten, sehr ähnlich ist, und dass es sehr große Überschneidungen gibt (wenn überhaupt "prinzipielle" Unterschiede existieren). Diese Aussage lässt sich überzeugend belegen, und sie gilt selbst für sehr einfache und oft angewandte "imaginative" und Entspannungsverfahren. (Dabei sollte auch beachtet werden, dass imaginative und ähnliche Verfahren ihrerseits wieder in einem Kontinuum zu "normaler" Kommunikation stehen, mit ziemlich fließenden Grenzen. Beispielsweise ist es kaum möglich, eine klare Trennlinie zwischen einer "Fantasiereise" und einer "Geschichte" zu ziehen, die ganz besonders geeignet ist, die Vorstellungskraft und Fantasie ihrer Zuhörer anzuregen).
  • [b]Teil 3[/b] [b]Psychologische Hilfe durch Laien[/b] "Laien" seien hier definiert als Personen ohne größere psychologische oder psychiatrische Ausbildung. Das hypnotische "Coaching" durch "Laien" wurde nie systematisch untersucht. Wohl aber existiert eine ganze Reihe von Studien zu der Frage, wie psychologische Hilfe durch "Laien" im Allgemeinen einzuschätzen ist. (Solche Untersuchungen könnten in Deutschland aufgrund der Rechtslage, nach der nur die Mitglieder bestimmter Berufsgruppen Psychotherapie ausüben dürfen, zumindest zum Teil nicht stattfinden.) Die Ergebnisse sind interessant und lassen sich so zusammenfassen, dass die Laien so effektiv waren wie die Professionellen. Dies galt sogar für Laien mit (bestenfalls) sehr wenig Training (höchstens einige Stunden); und es galt für viele Probleme - darunter auch ernstere, wie sie beispielsweise in psychiatrischen Kliniken behandelt werden. Diese Resultate sind so bemerkenswert, dass ein Autor (Murray) kommentierte: [i]"Die Reaktionen auf solch provokative und kontraintuitive Aussagen [wie die, dass die Länge des Trainings wenig mit der Effektivität der Therapie zu tun hat] bestanden oftmals in Überraschung, Unglaube und Hohn, oder einer völligen Verwerfung als etwas, was nicht einmal einer Erwägung wert ist; und dies trotz der Veröffentlichung unzähliger Artikel und Studien über den Zeitraum der letzten 40 Jahre, häufig durch Forschungspsychologen selber."[/i] Diese Ergebnisse sprechen zugleich gegen eine besondere "Gefährlichkeit" der "Laientherapie". Psychotherapie geht bei einigen Patienten mit negativen Effekten einhergeht. Daher hätte es das positive Gesamtergebnis die "Laien" herunterziehen müssen, wenn die "Laien" wesentlich mehr Probleme verursacht hätten als die professionellen Therapeuten. Es sind ein paar einschränkende Hinweise angebracht: Es scheint einiges dafür zu sprechen sein, dass die längere Ausbildung sich zumindest bei den schwereren Fällen auszahlt; und es könnte sein, dass das gute Abschneiden der "Laien" (die teilweise sogar besser waren als die Profis) auch mit einem besonderen Enthusiasmus des Beginners zu tun hat, und in dieser Ausprägung vielleicht nicht dauerhaft auftreten würde. Zudem müsste das Thema insgesamt eigentlich gründlicher untersucht werden, usw. Dennoch scheint eines klar zu sein: Soweit die Erkenntnisse der Psychotherapieforschung reichen, legen sie nachdrücklich nahe, dass ein "normaler" Coach Menschen in effektiver und sicherer Weise psychologisch unterstützen kann. Und wenn wir die schon genannten Ergebnisse der Hypnoseforschung hinzunehmen, nach denen Hypnose an sich sehr gut verträglich ist, scheint alles dafür zu sprechen, dass diese Ergebnisse auch für Coaches, die mit Hypnose arbeiten, gelten dürften. (Nebenbei gesagt entspricht es ja so auch der allgemeinen Erfahrung.) [b]Abschließende Bemerkungen [/b] Natürlich kann man dennoch irgendwelche theoretischen oder einzelfallbezogenen Argumente gegen die Hypnose, die durch bestimmte Leute ausgeübt wird, finden. Das ist immer möglich, egal wo und gegen wen. Mit "Wissenschaft" hat das dann aber wenig zu tun - eher schon mit berufspolitischen Interessen. Leider bestehen sehr starke berufspolitische Interessen daran, die Hypnose als ein "gefährliches Verfahren" darzustellen, denn allein so lassen sich "Exklusivbesitzansprüche" auf die Hypnose begründen. Das ist wohl auch der hauptsächliche Grund dafür, dass die Erkenntnisse der Hypnose- und Psychotherapieforschung, obwohl sie durchaus aussagekräftig sind, (jedenfalls in Deutschland) offenbar kaum jemanden interessieren. Stattdessen werden die teilweise abenteuerlichsten intellektuellen Klimmzüge unternommen, nur um die Hypnose doch noch als eine ziemlich riskante Sache darstellen zu können. Damit tut man der Hypnose allerdings einen schlechten Dienst. Es muss so in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass Hypnose ein relativ "abständiges" Phänomen ist, das mit "normaler" menschlicher Interaktion (einschließlich "normaler" Entspannungsverfahren) eher wenig zu tun hat. Leider haben es Sachargumente – mögen sie noch so gut sein – bekanntlich sehr schwer gegen Eigeninteressen. Allerdings ist es fraglich, ob es wirklich im langfristigen Interesse von irgendjemandem sein kann, der Öffentlichkeit einen in ganz wesentlichen Punkten grundlegend falschen Eindruck über die Hypnose zu vermitteln. Solange jedoch diese starken Machtansprüche zur Hypnose bestehen, wird sich wohl auch nichts daran ändern, dass die Hypnose falsch dargestellt und als "gefährlich" hingestellt wird - selbst wenn noch zehn weitere Studien durchgeführt würden, die die gute Verträglichkeit der Hypnose wissenschaftlich überzeugend beweisen. Dennoch halte ich es für wichtig, auf die relevanten Erkenntnisse aufmerksam zu machen, auch wenn das nur in einem kleinen Rahmen gelingen mag. (Vielleicht darf ich an dieser Stelle auch noch auf einen Artikel hinweisen, den ich zu diesem Thema verfasst habe; er ist allerdings etwas länger: https:// hypnoseinfos.wordpress.com/2015/07/27/wer-soll-hypnotisieren-ein-paar-anmerkungen-zu-einem-blog-artikel/ Der Link wird durch das Entfernen des Leerzeichens aktiv.)