Was hypnotische Suggestibilität (NICHT) ist...

  • Hallo zusammen, in der Hypnose spielen "Suggestivphänomene" eine wichtige Rolle. Zu ihnen geehören - unter anderem - "unwillkürliche" Bewegungen, Bewegungsblockaden, "hypnotische Träume", Halluzinationen und Illusionen aller Sinne (positiv wie negativ), Alteresregression- und Progression, Persönlichkeitsänderungen, "dissoziative" Phänomene wie automatisches Shreiben, außerdem Amnesie, posthypnotisches Verhalten usw. In der experimentellen Hypnose wie auch der Showhypnose spielen solche Phänomene eine zentrale Rolle, während die therapeutische Hypnose weniger auf sie angewiesen ist (obwohl man solche Suggestionen natürlich in manchen Fällen auch dort fruchtbar nutzen kann). Die Fähigkeit bzw. Bereitschaft, auf solche Suggestionen unter Hypnose-Bedingungen zu reagieren, wird als [b][i]"hypnotische Suggestibilität"[/i][/b] bezeichnet. Ein erfahrener Hypnotiseur kann die Suggestibilität anhand einiger informellen Tests anschätzen; in der Hypnose-Forschung gibt es extra Skalen, die eine genauere Erfassung ermöglichen sollen. Wenn die hypnotische Suggestibilität nicht trainiert wird, dann bleibt sie gewöhnlich ziemlich stabil; und diejenigen, die bereits "mittelhoch" suggestibel sind, sind leichter trainierbar als "Geringsuggestible". (Klassischerweise werden übrigens zumeist "Suggestibilität" und "Tiefe" ziemlich bedeutungsgleich verstanden, obwohl manchmal angenommen wird, dass zur "tiefen Trance" des Somnambulismus auch eine "spontane Amnesie" gehöre; und manchmal bezeichnet "Tiefe" auch eher die Qualität des subjektiven Erlebens des Trance-zustandes. Der Begriff "Tiefe" wird gewöhnlich von jedem Hypnotiseur etwas anders verstanden, und oftmals sind sogar Unterschiede sogar erheblich.) Was ist nun die hypnotische Suggestibilität, bzw. worauf beruht sie? So genau weiß man das leider nicht. Vermutlich spielen jedoch verschiedene kognitive Fähigkeiten eine Rolle. Hier soll es aber erst einmal darum gehen, was hypnotische Sugestibilität NICHT ist, denn diese Frage ist leichter zu beantworten, und sie bringt uns schon ein großes Stück weiter. [b]1) Therapeutische Suggestibilität[/b] Man könnte vermuten, dass der Erfolg bei einer Hypnotherapie dasselbe wie "hypnotische Suggestibilität"; dass also jemand, der gut Phänomene wie Leviatationen, Halluzinationen und Amnesie produziert auch gut von Hypnotherapie profitiert. Ganz so einach ist das aber nicht. Dagegen, dass das ein und dasselbe ist, spricht, dass der statistische Zusammenhang zwischen Therapieerfolg und hypnotischer Suggestibilität ziemlich moderat ist. Außerdem gibt es genug Beispiele dafür, dass auch Leute, die trotz bestem Willen extrem wenig auf "typische" hypnotische Suggestionen reagieren können, dennoch sehr gut auf Hypnotherapie und therapeutische Suggestionen ansprechen. Manchmal nehmen sich solche Erfolge geradezu verblüffend aus. Damit will ich keineswegs leugnen, dass eine hohe Suggestibilität für reine Hypnotherapie eine Ressource sein kann; nötig ist sie aber nicht undbedingt. Jedenfalls steht also fest, dass "hypnotische Suggestibilität/Empfänlichkeit" nicht dasselbe ist wie hypnotherapeutischer Erfolg. [b]2) Placebo-Effekt[/b] Eine sehr naheleigende Idee wäre die, dass hypnotische Suggestibilität auf denselben Mechanismen wie der Placebo-Effekt beruht. Hiergegen sprechen aber verschiedene Experimente, etwa zur Analgesie/Anästhesie. Für Menschen, die nur wenig auf hypnotische Suggestionen reagieren ("Geringsugestible"), scheint Hypnose tatsächlich wie eine Placebo-Pille zu wirken. Für diejenigen aber, de auf Hypnose-Skalen hohe Werte erreichen, besteht kaum ein Zusammenhang zwschen hypnotischer Analgesie und Placebo-Effekt. Diese Personen reagieren auf die hypnotische Suggestion anders und deutlich intensiver als auf den Placebo-Effekt. Es scheint so zu sein, dass die "Placebo-Responders" eher passiv sind und die Wirkung einer "externen" Kraft wie einer Pille zuschreiben, während die Hypnotisierten eher aktiv sind und die Wirkung selbst umsetzen, wie der Hypnoseforscher Ernest Hilgard es sinngemäß ausdrückte. Diese Aktivität muss dabei nicht unbedingt bewusst wahrgenommen werden, nicht einmal als besondere Konzentration. Tatsächlich gibt es aber eine Reihe von Versuchen, die dafür sprechen, dass das Reagieren auf Hypnose jedenfalls zumindest unbewusste Motivaion und unbewusstes Engegement voraussetzt. Anders als beim Placebo reicht es gewöhnlich kaum aus, dass der Hypnotisierte nur abwartet und den nur Effekt erwartet. Auf irgendeiner Stufe muss er ihn selbst realisieren. [b]3) Alltagssuggestibilität[/b] Eine weitere (auf den ersten Blick) naheliegende Möglichkeit bestünde darin, hypnotische Suggestibilität und Alltagssuggestibilität zu identifizieren. Menschen, die gut auf Hypnose reagieren, wären demnach diejenigen, die besonders willensschwach sind, ihre Meinung besonders schnell anderen anpassen oder überhaupt "manipulierbar" sind. Nun hat man aber schon lange Untersuchungen gemacht, bei denen man auf der einen Seite Eigenschaften wie Leichtgläubigkeit und Manipulierbarkeit erhob, auf der anderen Seite hypnotische Suggestbilität. Das Ergebnis ist jedoch, dass zwischen Hypnose und "Beeinflussbarkeit" im üblichen Sinne kein Zusammenhang besteht, oder bestenfalls ein minimaler. (Völlig unkooperative Menschen werden sich auch kam auf eine Hypnose einlassen.) Die immer wieder berichtete klinische Erfahrung scheint sogar eher dahin zu gehen, dass selbstbewusste und willensstarke Menschen eher [i]besser[/i] auf Hypnose reagieren. Zusammenfassens ist also festzuhalten, dass Eigenschaften wie "Manipulierbarkeit" und "soziale Beeinflussbarkeit" etwas grundlegend anderes sind als hypnotische Suggestibilität und mit einander auch nichts weiter zu tun haben. [b]4) Lernbereitschaft/Prägbarkeit[/b] Ein weiterer Kandidat wäre einfach so etwa wie die vor allem bei kleineren Kindern vorhandene stark ausgesprägte Lernbereitschaft und Prägbarkeit. Vielleicht deswegen, und weil Kinder oftmals "in der Fantasie leben" heißt es oft, dass Kinder ständig "in Trance" seien. Diese Redeweise mag durchaus berechtigt sein, wenn sie nur in ebendiesem besagten Sinne verstanden wird; sie kann aber auch leicht zu Fehlschlüssen verführen. Denn der Höhepunkt der hypnotischen Suggestibilität befindet sich nicht etwa in der frühen Kindheit, sondern tritt mit etwa 14 Jahren ein - also in der frühen Jugend. Da haben die "Prägbarkeit" und die Fantasiebezogenheit üblicherweise schon stark abgenommen. (Ab da nimmt die Suggestibilität bis zum frühen Erwachsenenalter ab; von da ab geht sie nur langsam zurück, vermutlich aufgrund der allmählichen Verringerung neuropsychologischer Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit usw.) Es kann also sicher nicht gesagt werden, dass "hypnotische Suggestibilität" dasselbe sei wie die kindliche Aufnahmefähigkeit oder Fantasiebezogenheit. (Damit soll aber natürlich nicht abgestritten sein, dass es zwischen Fantasie und Hypnose Zusammenhänge gibt.) [b]5) Einige Eigenschaften von hypnotischer Suggestibilität[/b] Wir haben also jetzt gesehen, dass hypnotische Suggestibilität NICHT dasselbe wie Manipulierbarkeit oder auch nur "Prägbarkeit" ist. Sie ist aber auch nicht dasselbe wie der Placebo- oder ähnliche Erwartungseffekte. Sie ist jedoch auch nicht identisch mit der Empfänglichkeit für Hypnotherapie. Was dann? Eine wirklich gute Antwort gibt es nicht, aber ein paar Eckdaten und Eigenschaften lassen sich nennen: - Hypnotische Suggestibilität hat wenig mit grundlegenden Persönlichkeitszügen (wie Introversion vs. Extroversion) zu tun. - Nicht alle Menschen, die ein gutes Vorstellungsvermögen haben, sind auch gut hypnotisierbar. Umgekehrt aber gilt: Menschen, die gut auf Hypnose reagieren, haben auch ein gutes Vorstellungsvermögen. Aber auch diese Regel hat ihre Ausnahmen. - Die Einstellungen und die Motivation spielen eine gewisse Rolle, wobei eine gewisse "Grundmotivation", bewusst oder auch unbewusst, wichtig ist. Ein guter Rapport ist förderlich. - Die Fähigkeit, sich in irgendetwas "zu verlieren", etwa in Kunst oder Natur oder Musik, scheint mit einer erhöhten hypnotischen Suggestibilität einherzugehen. Man spricht hierbei von "imaginativem Involviertsein" ("imaginative involvement"). - Auch wenn Daten wie Einstllungen zur Hypnose und imaginative Einbindung jedoch in sorgfältigen prähypnotischen Interviews durch erfahrene Hypnotiseure erhoben wurden, ist oft nur eine ungefähre Abschätzung hypnotischer Suggestibilität möglich. - Verschiedene Tests sprechen für einen positiven Einfluss der Erwartung auf die Suggestibilität. - Die Fähigkeit zm "Absorbiertsein" im allgemeineren Sinne hat mit der hypnotischen Suggestibilität zu tun, aber weniger, als man meinen würde. - Es gibt auch Hinweise darauf, dass Kinder, die harte Bestrafung erlebten, später zumeist gut hypnotisierbar (suggestibel) sind. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, aber vermutlich hat es damit zu tun, dass solche Kinder früh dissoziative Föhigkeiten trainiert haben. Der Zusammenhang ist aber nicht übergroß: Es gibt aber auch viele gute hypnotische "Subjekte", die NICHT hart bestraft wurden. - Eine wichtige Komponente scheint die Fähigkeit zu sein, Aufmerksamkeit zu steuern. Menschen mit hoher Suggestibilität können (auch) im Wachzustand besser Gedanken unterdrücken als "Geringsuggestible". Auch scheinen sie über ein ausgeprägteres vorderes "Corpus Callosum" (Rostrum) zu verfügen, was für die Fähigkeit zur Lenkung von Aufmerksamkeit spricht. Wenn wir uns noch einmal in Erinnerung rufen, was hypnotische Suggestibilität NICHT ist (Willenschwäche, Manipulierbarkeit, Placebo-Effekt) und mit was sie stattdessen zusammenhängt (Fähigkeit zum imaginativen Involviertsein, Fähigkeiten, die eigene Aufmerksamkeit zu kontrollieren), wird vielleicht deutlicher, wieso die zeitgenössische Hypnoseforschung die hypnotische Suggestibilität nicht als Defizit, Manko oder sonst als eine Form der Schwäche oder Unfähigkeit betrachtet, sondern als [i]positive Fähigkeit[/i]. Deswegen wird die hypnotische Suggestibilität dort oftmals auch als [i]"hypnotische Empfänglichkeit"[/i] oder sogar [i]"hypnotische Fähigkeit"[/i] bezeichnet. LG Miraculus